Worum geht es?
Natürlich reden wir hier nur von bezahlter Arbeit, d.h. also Erwerbstätigkeit, und wir klammern – mindestens einmal vorläufig – unbezahlte Arbeit geistig aus. Im Weiteren klammern wir der Einfachheit halber auch die "Sinnfrage" aus und konzentrieren uns auf Erwerbstätigkeit in dem Sinne, wie sie notwendig ist, das Einkommen für den Lebensunterhalt und die Stillung unserer Bedürfnisse zu gewährleisten.
Die weiteren Zeitaufwände neben denjenigen für bezahlte Arbeit sind im Leben von vermutlich jeder Person:
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diejenigen für selber gewählte Aktivitäten (z.B. Hobbies, Ferien usw.)
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diejenigen für Pflichten ausserhalb der Erwerbstätigkeit (z.B. Haushalt, Kinderbetreuung, Care-Arbeit usw.)
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diejenigen für Schlaf und Krankheit (hier nur der Vollständigkeit halber aufgezählt)
Lebt man aber nicht als Single, sondern als Familie, so mutiert die ursprünglich rein persönliche Frage nach der Aufteilung der Lebenszeit zu einer Angelegenheit des Kollektivs.
Eine Familie im Sinne dieses Beitrags kann sein:
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ein Ehepaar ohne Kinder
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ein Ehepaar mit Kindern
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eine nichteheliche Partnerschaft ohne Kinder
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eine nichteheliche Partnerschaft mit Kindern
Die klassische Rollenteilung in der Familie
Aufgrund der damaligen, heute nicht mehr gültigen Rahmenbedingungen der Vergangenheit entstand die Tradition der klassischen Rollenteilung in der Familie: Der Mann übernahm tendenziell den grösseren Teil der Erwerbstätigkeit, während die Frau tendenziell den grösseren Teil der übrigen Pflichten übernahm. Durch diese effiziente Arbeitsteilung verbleibt eine ansprechende Menge Zeit für selber gewählte Aktivitäten zugunsten von beiden Mitgliedern der Familie.
Dieser Vorteil hat aber einen Preis:
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Die Frau verliert ihre ökonomische Unabhängigkeit und verliert beruflich den Anschluss.
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Aus Sicht des Gemeinwesens waren seine Investitionen in die Ausbildung der Frau verschwendet.
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Fällt die Familie auseinander (was in knapp der Hälfte der Fälle geschieht!), findet die Frau nur schwer einen beruflichen Wiedereinstieg und muss auch nach Auflösung der Familie vom Mann alimentiert werden (sofern sie keinen neuen "Ernährer" findet). Dies ist für beide sehr schwer.
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Falls minderjährige Kinder vorhanden sind, unterliegen die Gerichte und leider oft auch die Betroffenen selber üblicherweise dem (falschen!) Trugschluss, dass die bisherige Aufgabenverteilung auch nach einer Trennung weiterhin beibehalten werden soll, auch wenn selbstverständlich das Gegenteil richtig wäre: nämlich die Trennung als Anlass zur Neuregelung der Aufgabenverteilung zu nutzen.
Diese falsche Vorgehensweise hat negative Auswirkungen auf alle Betroffenen: Auf die Mutter durch die Verstetigung ihrer ökonomischen Abhängigkeit, auf den Vater dadurch, dass er nicht mehr "von selbst" Kontakt zu den Kindern hat und einem Zwang zu Geldzahlungen an eine nicht mehr zur Lebensgemeinschaft gehörende Person unterliegt und insbesondere auf die Kinder, die ziemlich schnell den Vater verlieren oder ihn im besten Fall "nur" noch weniger sehen als vorher.
Die klassische Rollenteilung ist heutzutage also nur dann eine gute Sache, wenn sie den Neigungen der Familienmitglieder entspricht und wenn die Familie nicht auseinanderfällt. Zum Glück trifft dies in immerhin gut der Hälfte der Fälle zu.
Was hat sich geändert?
In den letzten Jahrzehnten hat sich die Gesellschaft verändert:
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Viele Männer (nicht alle!) wollen ihre Vaterrolle vermehrt wahrnehmen.
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Viele Frauen (nicht alle!) wollen beruflich mehr erreichen und ökonomisch unabhängig sein.
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Frauen sind heutzutage tendenziell höher qualifiziert als Männer (z.B. Hochschulabschlüsse usw.); allerdings müsste mal diesbezüglich untersucht werden, inwieweit dies der Massschneiderung des Erziehungssystems weg von den Bedürfnissen der Buben und weg vom Unternehmertum geschuldet ist. Unabhängig davon haben Frauen aber mehr Diplome und Abschlüsse, und das ist ja das, was im Stellenmarkt der Angestellten zählt.
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Es hat in den westlichen Ländern eine kulturelle und politische Bewegung in Richtung der Gleichstellung und Gleichberechtigung der Geschlechter stattgefunden.
Die Männer verlegen den Schwerpunkt ihrer Aktivitäten mittlerweile tendenziell eher von der Erwerbstätigkeit weg, während es bei den Frauen tendenziell eher umgekehrt ist.
Durch eine paritätische Aufgabenteilung entstehen die folgenden Chancen:
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Die familiären Pflichten (Erwerbstätigkeit, Haushalt, Kinderbetreuung usw.) können tendenziell gleichmässiger auf Männer und Frauen verteilt werden.
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Innerhalb der familiären Aufgabenverteilung sind weniger Klumpenrisiken als früher vorhanden (==> Auflösung der Familie, Krankheit, Invalidität, Tod).
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Bei gutem Einkommen beider Partner besteht vermehrt die Möglichkeit zur Teilzeitarbeit für beide, sodass beide mehr Zeit für andere Dinge haben.
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Bei Trennung / Scheidung sind zwei ökonomisch unabhängige und zur Erfüllung aller Familienpflichten fähige Partner vorhanden. Ein ökonomischer Clean Break und eine alternierende Obhut sind auf dieser Grundlage kein Problem mehr; ganz im Gegensatz zum klassischen Rollenmodell.
Die Entwicklung in Richtung einer paritätischen Aufgabenteilung geht also sozusagen "von selbst" in eine positive Richtung.
Andererseits sagen mehrere Statistiken und konkrete Fallbeispiele aus, dass Teilzeitarbeit bereits heutzutage in einer Mehrheit der Familien eine Realität ist, in Familien mit Kindern sogar in einer sehr grossen Mehrheit von ca. 75 Prozent. Allerdings ist die Teilzeitarbeit sehr einseitig auf die Frauen verteilt.
Erklärungsversuche
Weshalb ist die Teilzeitarbeit so verteilt? Folgende Gründe sprechen gegen Teilzeitarbeit und damit auch gegen eine moderne familiäre Aufgabenteilung:
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bei Männern: die Tradition / kulturelle Prägung
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Geld / Lohn: bessere Karrierechancen bei Vollzeitstellen
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stillende Mütter nach Geburt eines Kindes (95 Prozent der Schweizer Frauen; anders als früher!): Damit wird vorgespurt, dass der Mann nach Geburt eines Kindes in Vollzeit weiter arbeitet.
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keine Elternzeit für Väter in der Schweiz; nur zwei Wochen sogenannter "Vaterschaftsurlaub"
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der koordinierte Lohn im BVG: Bei Teilzeitarbeit resultieren überproportional grosse Verluste in der 2. Säule der Altersvorsorge aufgrund des koordinierten Lohns. Aufgrund des Mutterliebe-Mythos wird dies von Frauen eher in Kauf genommen als von Männern. Einerseits herrscht gegenüber Müttern traditionellerweise ein gesellschaftlicher Druck zur Fokussierung auf die Mutterrolle, und andererseits glauben sogar viele Mütter selber daran.
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Auch nicht stillende Mütter müssen den Mutterschaftsurlaub zusammenhängend beziehen. In vielen Fällen wäre es viel "Teilzeit-freundlicher", wenn Mütter ihren Mutterschaftsurlaub Einzeltag-weise, auf viele Wochen verteilt, beziehen könnten. Dies wirkt bei Männern "Teilzeit-verhindernd".
Es gibt übrigens neben der Anstellung mit einem definierten Arbeitspensum noch zwei weitere Formen der Teilzeitarbeit (mit einem variablen Arbeitspensum je nach Auftragslage):
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die selbstständige Tätigkeit als Einzelfirma
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die Anstellung nach Bedarf im Stundenlohn
Auch diese beiden Formen werden von unserem System hinsichtlich Altersvorsorge und den übrigen Sozialleistungen völlig ungenügend unterstützt und unattraktiv gemacht.
Abbau von Hindernissen gegen die Teilzeitarbeit
Die folgenden gesellschaftlichen Entwicklungen fördern in Zukunft sozusagen "von selbst" die Teilzeitarbeit, ohne politisches Zutun:
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das veränderte Arbeitsverhalten der Generation Z (Sinnsuche und Selbstverwirklichung)
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die Gleichstellung der Frauen (als ein kultureller Prozess), die zu einem höheren Anteil der Frauen an den Erwerbstätigen führt
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Home Office (Vorteile beim Stillen und bei der Betreuung schulpflichtiger Kinder)
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Job Sharing (= Belegung einer Stelle durch zwei Personen), z.B. infolge Fachkräftemangel (geeignetste Berufe: Gastgewerbe, Gastronomie, Erziehung und Unterricht)
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höheres Lohnniveau der Frauen aufgrund höherer Qualifikationen: Immer öfter werden weniger verdienende Männer solcher Frauen in Teilzeit arbeiten.
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zu erwartende, zukünftige Sharing-Plattformen für Kinderbetreuung im Internet, wo sich Eltern mit gleichaltrigen Kindern aus der Umgebung finden könnten, um die Kinderbetreuung kostenlos untereinander aufzuteilen
Auf politischer Ebene sind diverse Massnahmen denkbar, um bestehende Hindernisse zur Teilzeit abzubauen. Es handelt sich hierbei also nicht um eine politische Förderung der Teilzeitarbeit, sondern um einen Abbau der heutigen Hindernisse, die gegen Teilzeitarbeit sprechen. Der Staat darf nicht gewisse Lebensentwürfe fördern, aber er darf natürlich auch keine benachteiligen, wie dies heute bei der Teilzeitarbeit der Fall ist.
Elternzeit / Familienzeit:
Durch die Einführung einer Einzeltage-weise beziehbaren, paritätischen Elternzeit für Väter und Mütter würde Teilzeitarbeit begünstigt. Dies gilt nicht nur aus Sicht der betroffenen Eltern, sondern auch aus jener ihrer Arbeitgeber, sofern z.B. nur ein Tag pro Woche bezogen würde. In einer solchen Konstellation müssten solche Eltern weniger durch neue Mitarbeiter ersetzt werden, weil es sich nur um eine Arbeitszeitreduktion von z.B. 100% auf 80% handeln würde. Dies ist ein Vorteil auch für die Arbeitgeber.
Auch das Gemeinwesen profitiert: Die kostspieligen Investitionen in die schulische und berufliche Ausbildung von Frauen werden so nicht mehr in den Wind geschrieben, wie bis anhin, und der Fachkräftemangel wird gemildert.
Kita-Subventionen:
Mit einem verbesserten Kita-Angebot würde Teilzeitarbeit zwar erleichtert. Eine derartige staatliche Massnahme hätte aber sicher ein bedeutend schlechteres Kosten-/Nutzen-Verhältnis als die weiter oben erwähnte Idee von Sharing-Plattformen für Kinderbetreuung im Internet. Zudem besteht bei staatlichen Lösungen generell die Gefahr der Förderung vom Staat erwünschter Geisteshaltungen bei den Kindern.
BVG-Änderungen:
Die Pensionskassen sind heute mit den Arbeitgebern verbunden, was viele unnötige Probleme zur Folge hat. Wenn neu jeder Arbeitnehmer (anstelle des Arbeitsgebers) in einer einzigen, von ihm selbst gewählten Pensionskasse wäre (wie es ja bei den Krankenkassen auch ist, wo sich jede Person in der Schweiz obligatorisch versichern muss), würden folgende Probleme auf einen Schlag gelöst werden:
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Personen mit mehreren Teilzeitstellen (z.B. eine Serviertochter, die zu je 40% in zwei Restaurants arbeiten muss, damit ihre beiden Arbeitgeber ihr keine Pensionskasse zahlen müssen) wären mit all ihren Jobs in einer einzigen Pensionskasse ihrer Wahl.
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Stellenwechsel führen nicht mehr wie heute zu zufälligen Änderungen der Pensionskassenbedingungen, wenn der Arbeitnehmer sozusagen "seine" Pensionskasse hat, was zu einer höheren Flexibilität der Arbeitnehmer führt. Dies erleichtert einerseits Teilzeitarbeit, aber es ist auch ein Vorteil für Vollzeit arbeitende Personen.
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Auch Stundenlöhner, die heute oft keine Pensionskasse haben, weil sie Einsätze an verschiedenen Orten haben, hätten eine Pensionskasse.
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Auch Selbstständige könnten endlich eine Pensionskasse haben.
Als zweite Massnahme gehört der koordinierte Lohn ersatzlos abgeschafft, und der Lohnabzug fürs BVG muss neu ein fixer Prozentsatz sein, wie bei der AHV (==> keine Altersprogression mehr). Dies ist eine abwicklungstechnische Vereinfachung, und die heutige Benachteiligung älterer Stellenbewerber auf dem Stellenmarkt infolge ihrer höheren Pensionskassenprämien würde so gleich auch noch beseitigt.
Die Bedingungen fürs BVG-Obligatorium müssten neu dieselben sein wie beim AHV-Obligatorium, d.h. das BVG-Obligatorium sollte neu gleich wie bei der AHV bereits ab einem Jahreslohn von CHF 2'500 gelten (heute: CHF 22'680).
Die heutigen Gegenargumente der Arbeitgeber könnten ignoriert werden; es gibt nämlich keinen abwicklungstechnischen Grund, weshalb ein Arbeitgeber fürs BVG nicht einen Prozentabzug vom Lohn machen kann, wenn er es bei der AHV heute auch schon kann.
Und bezahlt werden betriebswirtschaftlich gesehen sowieso die gesamten Sozialabzüge von den Arbeitnehmern. Der Begriff des sogenannten "Arbeitgeberanteils" ist betriebswirtschaftlich gesehen eine Illusion. Auch diesbezüglich sind also die Argumente der Arbeitgeber gegen eine Abschaffung des koordinierten Lohns ungültig, weil schon heute sowohl der sogenannte Arbeitgeberanteil als auch der sogenannte Arbeitnehmeranteil einzig und allein aus der Arbeit der Arbeitsnehmer erwirtschaftet werden. Es finden bei den Sozialabzügen ja bekanntlich keinerlei Spenden der Arbeitgeber statt (!).
Auch das oft politisch genannte Argument für den koordinierten Lohn, dass ja die AHV als erste Säule bereits einen versicherten Lohn von CHF 22'680 abdecke, ist falsch. Beim 3-Säulen-Konzept geht es um eine Risiko-Diversifikation durch die parallele Verfolgung von drei Vorsorge-Systemen. Es geht nicht um die Aufteilung des versicherten Lohns. Die Versprechungen der 80er Jahre bei Einführung des BVG über die Höhen der Renten sind allesamt nicht eingetroffen und dürfen deshalb in der heutigen politischen Diskussionen keine Rolle mehr spielen.
Fazit
Die klassische familiäre Aufgabenverteilung ist auch heute noch in der Schweiz vorherrschend: Tendenziell setzen Männer ihren Schwerpunkt auf die Erwerbsarbeit, während Frauen tendenziell eher die übrigen Aufgaben übernehmen. Die heutige Realität sieht so aus, dass in diesem Modell die Männer Vollzeit arbeiten und die meisten Frauen Teilzeit. Die Teilzeitarbeit ist also – vielleicht entgegen den Erwartungen – eine Voraussetzung für die klassische familiäre Aufgabenverteilung; ganz einfach, weil sonst meistens das Geld nicht reicht, insbesondere wenn minderjährige Kinder vorhanden sind.
Entspricht dieses klassische Modell tatsächlich den Neigungen der Familienpartner, und wird die Familie nicht aufgelöst, so ist dies meistens eine gute Lösung. Bei Trennung / Scheidung (d.h. in knapp der Hälfte aller Fälle) hat das klassische Rollenmodell aber gravierende Nachteile.
Die moderne paritätische Aufgabenverteilung bietet viele Vorteile und Chancen, insbesondere auch bei Trennung / Scheidung, wo das klassische Modell ausgesprochen problembehaftet ist. Sie wird beim Vorhandensein minderjähriger Kinder aber erst durch Teilzeitarbeit beider Familienpartner praktikabel realisierbar, und es ist eine Voraussetzung, dass mit dieser Teilzeitarbeit beider Eltern das Geld immer noch ausreicht.
Der allgemeine, gesellschaftliche Wandel geht spätestens mit der Generation Z "von selbst" schon in Richtung der modernen, paritätischen Aufgabenverteilung.
Durch geeignete politische Massnahmen können heute vorhandene Hindernisse beseitigt werden, die die Teilzeitarbeit – im Speziellen bei Männern – verhindern.
Dies sind insbesondere die Einführung einer paritätischen Elternzeit und tiefgreifende BVG-Reformen. Von solchen BVG-Reformen profitieren beide Rollenmodelle – auch das klassische, was auf den ersten Blick nicht ganz offensichtlich ist.